Es riecht nach Kindheitstagen: Der Donaustrom, die sandigen Uferbänke, Marillenbäume und Weinreben – all das hat seinen ganz eigenen Geruch, meint Milena Broger. Erinnerungen an zahlreiche Familienurlaube kommen dabei in ihr hoch, schließlich stammt die Mutter der 33-jährigen Spitzenköchin aus dem Flusstal. Grund genug, sie zusammen mit ihrem Mann und Partner, Erik Pedersen, in die Wachau zu laden. Die beiden Spitzenköch:innen haben sowohl in Japan, Italien und Dänemark gekocht, als auch ihr eigenes Hauben-Restaurant Weiss in Bregenz geführt. Für die Vermessung der Wachau verbrachten sie mehrere Tage auf Vakanz in der Region, um das Welterbe Wachau – genauer gesagt, die Essenz des Heurigen – zu erforschen und anschließend zu interpretieren.
Liebe Milena, lieber Erik, ihr seid losgeschickt worden, um die Wachau zu vermessen. Was habt ihr dort gefunden?
Milena: Für mich war es ja eher so ein Zurückkommen. Meine Mutter ist in Stein in der Wachau aufgewachsen, ich habe einen starken, persönlichen Bezug zu dieser Gegend.
Und wurde damals auch schon viel gekocht?
Milena: Ja, auf jeden Fall! Ein Freund meiner Eltern war Jäger, wir waren auch zusammen fischen, haben Pilze und Kräuter gesammelt, das Ganze wurde dann mit der Familie verkocht.
Klingt nach einer fast schon märchenhaften Zeit.
Erik: Was anderes ist dort auch kaum zu erwarten. Also, ich war nun zum zweiten Mal in der Wachau. Und kann jetzt gut verstehen, warum man von „Welterbe“ spricht. Man braucht sich ja nur umzusehen: Berge, Schlösser, Burgen, Weingärten, Obstwiesen – das sieht alles aus wie aus einem Harry Potter-Film.
Nur, dass es bei Harry Potter keinen Heurigen gibt. Und der Heurige war ja der Grund, weshalb man euch in die Wachau geschickt hat.
Milena: Stimmt, wir waren dort auf Vakanz.
Erik: Ich dachte, wir sind eine Vakanz?
Milena: Naja, es ging ja darum, einen unbesetzten Standpunkt – eine Vakanz – in der Wachau zu finden. Das haben wir gemacht, indem wir ein paar Tage dort verbracht und einen neuen Blick auf den Heurigen geworfen haben.
Fünf Tage waren Milena und Erik am Südufer der Wachau. Ein altes Steinhaus inmitten der Weinberge war ihr Stützpunkt. Von dort aus sind sie frühmorgens losgezogen und haben aufgesaugt, was und wer ihnen begegnet ist: die Landschaft und Menschen, ihre Kultur und Produkte. Mittags sind sie dann zurückgekehrt, haben in der kleinen Küche gekocht, an ihrem bevorstehenden Menü gefeilt und neue Gerichte kreiert. Den Feierabend haben sie – typisch für die Wachau – im Heurigengarten verbracht. Mitte April haben sie dann im Pfarrstadl Mitterarnsdorf ihre Vision des Heurigen präsentiert.
Ist der Heurige noch zeitgemäß?
Milena: Auf jeden Fall, der Heurige ist eine Institution! Kulinarisch betrachtet ist er für die heutige Zeit vielleicht eher fleischlastig, oder grundsätzlich ein bisschen üppig: viel Fleischprodukte, viel Kohlenhydrate – kein Heuriger ohne Brot oder Wachauer Laberl. Wir haben versucht, da noch ein paar weitere Ideen einzubringen.
Das war in eurem Heurigen-Menü für die Veranstaltung deutlich zu erkennen: Eure Blunzn war mit roter Rübe versetzt, anstelle von geräuchertem Fisch gab es Karotte, und die traditionelle Sulz ist ohne Pökelfleisch ausgekommen.
Milena: Ja, das war uns wichtig und schon im Vorhinein klar: wir wollen weniger Fleisch auf der Menükarte.
Erik: Und wir haben versucht, so viel wie möglich aus der Region zu verwenden. Die gegrillten Selleriespieße beispielsweise haben wir mit Blutampfer einer Bäuerin vom Markt kombiniert, der war leicht säuerlich. Und am Ende wurde alles mit wilden Kräutern kredenzt, die wir natürlich selbst gesammelt haben.
Im Sinne der Heurigenkultur wurde auch alles mitten auf den Tisch gestellt, jede:r durfte selbst zugreifen.
Erik: Ich bin ja nicht mit dieser Kultur aufgewachsen, aber ich finde das im Grunde großartig! Also, wo auf der Welt gibt es so etwas noch? Dass man im Sommer für drei, vier Monate aufsperrt, das ausschenkt und verkocht, was es im Garten gibt und dann im Herbst wieder zumacht.
Milena: Anders wäre das aber auch nicht möglich: Der Heurige ist ja ein Nebenerwerb der Weinhauer, und oft sind das immer noch Familienbetriebe.
Es ging darum, den Wein zu präsentieren, die Ernte zu verkosten, deshalb auch „Heuriger“.
Milena: Eigentlich ist das die Urform des Pop-Ups, könnte man sagen.
Erik und Milena überlegen, was nun die Grundbedeutung eines Pop-Ups ist und, ob es wirklich noch Heurige gibt, die tatsächlich nur das anbieten, was sie selbst produzieren? Nach kurzer Diskussion kommen sie zu dem Schluss, dass die meisten wohl doch ihr Angebot mit zugekauften Produkten aus der Region anreichern. Aber Fakt ist: Die Heurigenkultur ist einzigartig. Und deshalb pflegens- und schützenswert.
Ihr habt gemeinsam im Kadeau auf der Insel Bornholm gekocht: Worin unterscheidet sich denn der Geschmack Dänemarks von jenem der Wachau?
Erik: Ach, in ganz vielen Bereichen. Auf Bornholm war natürlich Fisch sehr präsent: fangfrisch oder geräuchert, vor allem aber salzig. Und dazu passt natürlich dänisches Bier besser als ein Grüner Veltliner.
Milena: Außerdem ist es ja beim Heurigen so: Man kommt dort schon hin, um zu essen und zu trinken. Aber viel mehr, um beisammen zu sein. Die Geselligkeit ist ein ganz wichtiger Punkt, im Gegensatz zur Restaurantkultur. Auch bei uns im Weiss war es so: Das Essen war immer der Höhepunkt. Danach sind die Gäste gegangen. Im Heurigengarten ist es anders: Die Menschen bleiben einfach sitzen, oft stundenlang.
Was das Wirtshaus für ganz Österreich ist, dürfte also der Heurige für die Wachau sein.
Milena: Vielleicht auch, weil die Region so zersiedelt ist. Die Ortschaften sind oft klein und weit voneinander entfernt. Die Donau teilt die Landschaft. Das haben wir auch während unserer Vakanz erlebt: Wenn man etwas anderes braucht als Wein oder Marillensaft, dann muss man dafür schon eine ordentliche Strecke fahren.
Aber die Wachau ist doch mehr als Wein und Marille?
Erik: Auf jeden Fall, es gibt dort viele moderne Produzent:innen. Aber die Region ist auch limitiert. Topografisch betrachtet ist es immer gleich: Am Talboden fließt die Donau, darüber erheben sich die Berge und dazwischen liegen grüne Flächen, die man kultiviert hat. Also, wo gearbeitet und gelebt wird.
Milena: Ich denke, viele Regionen haben irgendeine Form von Alleinstellungsmerkmal, die man dann touristisch nutzen möchte. Dabei sollte man aber aufpassen, sich nicht nur darauf reduzieren zu lassen – der Bregenzerwald ist ja auch mehr als Milch und Bergkäse. Aber dennoch ist es in der Wachau so, dass dort seit knapp zwei Jahrtausenden Wein angepflanzt wird. Nicht ohne Grund: Das Terroir und Klima sind dafür wie gemacht.
Olivenhaine findet man nun übrigens auch zwischen den Obst- und Weinterrassen.
Milena: Wir waren sogar zu Besuch bei dem Olivenbauer Philipp Zizala.
Erik: Richtig gut waren die Oliven, ich war echt überrascht!
Sollte der Heurige in Zukunft also auch Oliven anbieten?
Milena: Ja, klar! Warum nicht?